In diesem Artikel geht es nicht um die Finanzkrise! Sondern es geht um die Finanzen, also das liebe Geld. Und um die Krise. Um die Krise im Sinne des griechischen Mutterwortes Krisis, also Entscheidung, Veränderung – und das radikal. Oder auch um die Krise im chinesischen Sinne, wo dasselbe Schriftzeichen auch Chance bedeutet – eine Chance wieder vom Geld zum Leben zu finden.
Über die Finanzkrise sei nur gesagt, dass es mir damit so wie den meisten geht – ich durchschaue sie einfach nicht. Damit bleibt nur die Wahl, wem man nachplappert: den Politikern, die alles herunterspielen und verharmlosen, den Verschwörungstheoretikern, die eine perfekt inszeniert Vermögens- Umverteilung von den vielen Armen zu den wenigen Reichen beschwören, oder einfach dem ohnmächtigen Herrn Volkszorn von nebenan, der lauthals seine „konkreten“ Schuldzuweisungen hinausposaunt: „Die da! Die haben´s sich wieder gerichtet und mir san die Blöden“!
Damit ist das Thema Finanzkrise auch schon abgehandelt. Hier soll es vielmehr um eine philosophische Haltung zu Geld und Besitz gehen. Woher kommt unsere Gier nach Geld und Besitz? Und wie können wir gute Besitzer von Geld werden anstatt Besessene?
Geld – zwischen Urangst und Urgier
Geld gehört neben der Liebe wohl zu den stärksten Interessen und auch Antrieben im Menschen. Die weltweiten Reaktionen auf die Finanzkrise dokumentieren die enorme Resonanz, die Gewinn oder Verlust von Geld auslöst, ein Aufruhr von leidenschaftlichen Gefühlen, die Menschen auch zu Lügen, Erpressung, Korruption, Betrug, ja sogar zu Raub und Mord anstiften können.
Der grosse Philosoph und Weltreisende Hermann Keyserling (1880-1946) spricht in seinen „Südamerikanischen Meditationen“ von den Urtrieben der Ur-Angst und des Ur-Hungers im Menschen. Erstere führt zum ur-weiblichen Streben nach Sicherheit durch Besitz und Bewahren, letzterer zum ur-männlichen Streben nach Eroberung, nach immer mehr, immer grösser und immer weiter. Dieser Hunger oder besser diese Gier entstammt einer dem Leben innewohnenden Notwendigkeit, nämlich des grenzenlosen Immer-Weiter-Wachsens, das für den Menschen ein Streben zum Unendlichen ist und letztlich zu seiner geistigen Freiheit führt.
Wenn sich jedoch diese beiden Urtriebe rein auf das Materielle richten, dann wird das Besitzen und Bewahren zum Geiz und das grenzenlose Erobern zur grenzenlosen Habsucht, möglichst viel Geld und andere materiellen Güter zu erwerben. Die Folge dieser fehlgeleiteten Ur-Antriebe ist also eine unersättliche Gier nach Geld, Reichtum und Besitz, denn wie ein chinesisches Sprichwort sagt: „Die Gier nach Besitz befriedigen zu wollen heisst Feuer mit Stroh zu löschen!“
Das Geld in den „Augen Gottes“
Alle grossen Geister, Weise, Mystiker, Propheten, Religionsgründer wussten um diese Gefahr des rein materiellen Strebens und gaben der Menschheit Beispiele ihrer eigenen Lebens, wie auch spirituelle Lehren, um diese Ur-Antriebe im Menschen in ein geistiges Wachstum zu verwandeln. Buddha entsagte allem materiellen Reichtum und aller weltlichen Macht, verliess Palast und Familie, um in der Einsamkeit als besitzloser Asket seine erhabenen Wahrheiten zu finden. Diese erhabenen Wahrheiten lehren, dass die Ursache des Schmerzes in den Begierden liegt, wir daher unsere Begierden überwinden müssen.
Jesus erwähnte immer wieder den Reichtum als ein grosses Hindernis auf dem spirituellen Pfad. Die Metapher „Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in das Reich Gottes“ (Markus 10, 23-27) wird bis heute auch von Bibelunkundigen zitiert. Oder auch dass niemand „zwei Herren dienen kann“(Matthäus 6, 19 – 23): „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden …sammelt euch vielmehr Schätze im Himmel…denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein…niemand kann zwei Herren dienen…ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon!“
Ähnlich formuliert es auch der Islam und gibt seinen Gläubigen eine Reihe praktischer Gebote mit, wie das Almosengeben, oder dass man Geld und Reichtum im Sinne der Religion zu verwenden habe. Wesentlicher Hintergrund ist, dass der eigentliche Eigentümer immer Gott ist, der den Menschen die irdischen Güter als Besitz zuteilt.
Dieser Gedanke findet sich schon im Alten Testament, wobei hier jedoch Reichtum und Wohlstand sichtbare Zeichen der Gunst Gottes sind, Armut dagegen als eine göttliche Strafe angesehen wird. An dieser Denkweise orientiert sich prinzipiell die amerikanische Mentalität, wo man sein Einkommen unverhohlen zur Schau stellt und damit auch gesellschaftliches Ansehen geniesst, während in Europa das Gehalt nach wie vor Tabuthema ist, dem Geld – wie es auch Sigmund Freud diagnostizierte – etwas Schmutziges anhaftet.
Was zusammengefasst Geld in den Augen Gottes bedeutet, karikiert in etwas zu verallgemeinernder Form der deutsche Schriftsteller Peter Bamm (1897 – 1975) mit seinem Zitat: „Was der liebe Gott vom Geld hält, kann man an den Leuten sehen, denen er es gibt“.
Vom Mittel zum Zweck
Auf interessante Weise vermittelt der italienische Psychologe Roberto Assagioli (1888-1974) die Natürlichkeit und Notwendigkeit von Besitz: für ihn stehen die jeweils unteren Reiche der Natur im Dienste der höheren. So ermöglicht das Mineralreich das Leben der Pflanzen, das Mineral- wie Pflanzenreich jenes der Tiere, und der Mensch bedient sich schliesslich sowohl des Mineral-, wie des Pflanzen- und Tierreiches. Wenn der Mensch einen rechten Gebrauch der anderen Naturreiche macht, dann nimmt er nicht nur, sondern gibt im Austausch auch vieles zurück. Er formt die Edelsteine zu Schmuckstücken, er veredelt Metalle, er gestaltet Gartenkulturen und unterstützt durch den engen Kontakt die Entwicklung der Tiere, wenn wir z.B. an Pferd und Reiter denken oder an einen Hund und seinen Herrn. D.h. die Nutzung aller zur Verfügung stehenden Güter kann viele positive Möglichkeiten eröffnen, wozu es jedoch den Besitz und aktiven Austausch benötigt. Eines der Mittel für diesen Austausch ist das Geld. Geld und Besitz sind demnach nichts Schlechtes, sondern entscheidend ist unsere Art des Umganges damit. Und das wohl grösste Missverständnis besteht in der Verwechslung von Mittel und Zweck. Dies bringt der chinesische Weise Konfuzius auf den Punkt: „Der Edle benützt seinen Reichtum, um sein Leben zu gestalten, der Niedrigdenkende benützt sein Leben, um zu Reichtum zu gelangen“. Geld wird also plötzlich nicht als ein Mittel zum Austausch betrachtet, sondern man beginnt es zu horten und zu verwahren. Geld um des Geldes willen. Oder auch Besitz um des Besitzes willen, wie man es bei manchen Sammlern findet, die ein unleserliches antiquarisches Buch einer Neuausgabe vorziehen. Ist Geld und Besitz zum Selbstzweck geworden, sind Geiz und Habgier keine Grenzen mehr gesetzt, die Ur-Antriebe sind entfesselt, und der Handel an den Börsen- ursprünglich als ein Mittel zum besseren Austausch gedacht – ist zum endlosen, risikoreichsten Roulett geworden.
Wir verlieren nicht – wir geben zurück
Als erstes gilt es also, sich von Geld und Besitz als Zweck zu lösen. Beide sind nur Mittel zum Leben, und ihre positive oder negative Wirkung hängt einzig und allein von unserer Einstellung und unserer Art des Gebrauchs ab. Laut Studien sind über 80% der Gewinner von hohen Geldbeträgen dadurch in eine grössere Unzufriedenheit geraten als davor. Es ist für jeden eine grosse Prüfung, der Versuchung von übermässiger Sinnlichkeit, Verweichlichung, Faulheit, Egoismus, Geiz und Verlustängsten nicht zu erliegen.
Die Grundlage für einen positiven Gebrauch unseres Besitzes besteht im Wissen, dass aller Besitz vom Schicksal nur geborgt ist. Der römische Stoiker SENECA schreibt: „In Wirklichkeit besteht der ganze Besitz des Reichen wie des Armen nur in Schulden – einerlei, ob er nun von Menschen oder vom Schicksal geborgt ist. Was uns von aussen zufällt, Kinder, Ehrungen oder Reichtum – alles ist nur geliehener Prunk. Nichts davon bleibt uns…Wir müssen, was uns auf unbestimmte Zeit gegeben wurde, ständig bereithalten und ohne Klagen zurückgeben“.
Auch wenn dieser Gedanke für einen wohlerzogenen Materialisten im ersten Moment absurd erscheint, bleibt dennoch die Frage, woher unser Besitz stammt? Durch harte Arbeit, sagen die einen. Aber gibt es nicht irgendwo in Afrika, in den Bergen Pakistans und selbst bei uns genügend hart arbeitende Menschen, die dennoch kaum genug zum Leben haben? Dann ist es eben Schicksal! Genau!
Und das bedeutet, dass uns Reichtum aus welchem Grunde auch immer vom Schicksal zugedacht wurde. Wann einem dieses unbekannte Schicksal die Dinge wieder nimmt, unsere Eltern, unsere Kinder, unseren Partner, unseren Besitz und wie es diese wieder nimmt, wissen wir nicht. Dazu SENECA: „Warum klagen und beklagen wir uns? Weil wir nicht aufs Aufgeben vorbereitet sind, weil auch fremde Verluste uns nicht bewusst machen, dass uns Gleiches widerfahren wird.“ Die Einstellung, dass wir daher nichts verlieren können, weil uns gar nie etwas gehört hat, stellt einen grossen Gewinn dar. Wir geben nur zurück, was uns geliehen war.
Geld oder Leben
Wer sich als Besitzer von Geld und Gütern wähnt, wird leicht zum Besessenen. Keyserling beschreibt, dass dieses Besessensein kein natürliches Ende kennt, wörtlich: „Das Fressen hat seine Grenzen am Ekel, das Saufen an der Verblödung, Machthunger am Aufhören allen Widerstandes, sexuelle Unersättlichkeit an der Impotenz. Wie aber soll Goldhunger je aufhören?“ „Gold ist jedoch nur ein Mineral“, so Keysling, und wenn wir uns diesem ganz hingeben, färbt seine Natur auf uns ab. Wenn wir mit unserer ganzen Seele dieser „toten Quantität“, genannt Geld nachlaufen, übernimmt unsere Seele dieses Gesetz, d.h. sie „entmenscht sich“, sie enttiert sogar, es kommt zu einer Re-Mineralisierung. Beim Geizigen verhärtet sich die Seele zum Mineral. Daher das kalte Rechnen der heutigen Banker, daher die kalte Gefühllosigkeit vieler Reicher. „Kälte ist die Eigen-Wärme des Metalls“. Das, so Keyserling, wird unser Schicksal bleiben, „bis dass der Menschenwert wieder mehr gelten wird als Goldeswert.“
Wenn wir uns jedoch nicht als Besitzer, sondern nur als Verwalter von Geld und Besitz fühlen beginnen wir auf weitsichtigere und altruistischere Art und Weise damit umzugehen. Unser Glück hängt nicht davon ab, wie viel wir haben, sondern was wir daraus machen. Glück, wonach wir alle zurecht streben, ist unabhängig von unserem Besitz. Es gibt Arme wie Reiche, die glücklich sind, und umgekehrt. Seneca meint, dass im Reichtum oft mehr Gefahr liegt als im Armsein. Da er uns leichter und rascher von uns selbst wegführt, während die Armut Menschen zu sich selbst hinführt. Tatsächlich zerstreuen sich Menschen leicht in einem oberflächlichen Luxusleben und verlieren sich in unnotwendigem Konsum, während sie in der Armut eher wieder zum Wesentlichen zurückfinden. Unabhängig vom persönlichen Reichtum, wer sich nur als Verwalter seines Besitzes empfindet, wird verantwortungsvoll und wohltätig damit umgehen. „Der Weise“, sagt Seneca, „wird Reichtum nie von sich stossen, denn er weiss ihn recht zu gebrauchen: er reicht ihn weiter an gute Menschen oder für gute Zwecke.“ Auch heute erleben wir Menschen, die an einem bestimmten Punkt ihres Lebens das Bedürfnis verspüren, einen grossen Teil ihres Reichtums für humanitäre und kulturelle Zwecke einzusetzen. Geld in Umlauf zu bringen und damit Gutes zu tun, führt wieder zum Leben zurück schafft und verbessert das Leben; es nur zu horten, macht den Besitzer zum Besessenen; der Anbeter des toten Kapitals wird schliesslich selbst zu einem lebendigen Toten. Der richtige Umgang mit Geld und Besitz besteht also darin, so viel wie möglich zu helfen, denn das „Gut-Tun ist das Fundament des Gut-Ergehens“ (Seneca).
Jeder von uns erlebt, wie schön es ist, etwas zu haben, um es zu teilen und zu geben. Arm ist aber, der diese Erfahrung nie gemacht hat. Reich ist nicht der, der viel hat, sondern der viel zu geben hat, arm nicht der, der nichts hat, sondern der nichts zu geben hat. Wenn wir schenken, teilen und geben, zieht Leben, Wärme und Freude in unser Herz ein, wenn wir geizig horten, erkaltet und verhärtet es. Wer das Leben sucht, wird innere Fülle empfinden, wer dem Geld nachjagt, leidet immer an Mangel. Das Geld muss dem Leben dienen, nicht das Leben dem Geld. Wer die Finanzkrise in diesem Sinne für einen radikalen Wertewandel nützt, der hat möglicherweise viel Geld verloren, aber grossen Reichtum gewonnen.